Hörakustik – induktive Übertragungssysteme
Das Bayerische Gleichstellungsgesetz fordert unter dem Stichwort „Barrierefreiheit“ die Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen Leben. Im Klartext: In Bereichen des „öffentlichen Lebens“ müssen alle notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, damit behinderte Menschen daran optimal, also ungehindert, teilnehmen können. Unter „optimal“ ist dabei der Stand der Technik als Maßstab anzusetzen.
Für Schwerhörige gilt dies beispielsweise für die Kommunikation und Informationsübermittlung in Gebäuden (staatliche Einrichtungen, Kinos, Theater etc.). In allgemeiner Form berücksichtigt diese Bedürfnisse die Bayerische Bauordnung (Abschnitt VII, Artikel 48: Barrierefreies Bauen). In staatlichen Gebäuden in Bayern ist für Neubauten und Grundsanierungen, gemäß Beschluss des Bayerischen Landtages (veröffentlicht als Drucksache 14/8286 vom 12.12.2001), der Einbau von induktiven Höranlagen sogar verbindlich. Im Jahr 2014 wurde dazu von der Obersten Baubehörde (Bayern) gar eine Planungsrichtlinie für induktive Höranlagen herausgegeben. Barrierefreiheit gilt analog natürlich auch für Sehbehinderte. Normativ thematisierte schon länger die DIN 18040-1 „Barrierefreies Bauen“, welche durch die DIN EN 17210 abgelöst wurde. Es gibt demnach ausreichend Dokumente dazu, dass das Thema „offiziell“ ernst zu nehmen ist.
Die Anzahl von schwerhörigen Menschen ist in unserem Umfeld höher als allgemein angenommen. Im März 2000 untersuchte Dr. Sohn von der Universität Witten / Herdecke in Kooperation mit Siemens (Audiologische Technik) die Zahl von Schwerhörigen in der BRD. Demnach sind 19% der Bevölkerung im Alter über 14 Jahre in Deutschland bereits hörbeeinträchtigt. Bei einer Einwohnerzahl von 80,62 Millionen Menschen (Stand 2013) ergibt dies eine beachtliche Zahl von rund 15.318.000 Einwohnern. Das sind umgerechnet rund 250.000 hörbeeinträchtiger Menschen alleine für den Bezirk Unterfranken. Laut einer Veröffentlichung des regionalen Arbeitskreis der Schwerhörigenvereine und Gruppen im Jahr 2015 ist davon die Hälfte mittel- bis hochgradig schwerhörig. Diskussionen über die Notwendigkeit von Höranlagen sollten daher selbstverständlich sein.
Für Betriebsführungen, Museumsführungen, barrierefreie Schalter in Behörden und in sonstigen Bereichen, die (noch) nicht über eine festverlegte Hörschleife verfügen bzw. dort keine Verlegung möglich ist, gibt es mobile Hörschleifen zum Aufbauen, Hörschleifen zum Umhängen oder Hörschleifenmatten. Generell ist stets zu würdigen, dass auch Menschen mit Höreinschränkung nicht als solche auffallen oder gar in speziell markierten Bereichen sitzen möchten. Idealerweise kann der Hörgeschädigte sein Hörgerät für induktiven Empfang (Stellung „T“ oder „MT“) diskret aktivieren, was durch umschalten, antippen oder per Fernbedienung erfolgen kann. Seit vielen Jahren sind auch Cochlea Implantate (CI-s) mit Induktionsspulen ausgestattet. Daher ist die klassische Induktionstechnik, gegenüber sonstigen Techniken, nach wie vor unverzichtbar.
Dennoch: auch moderne Hörgeräte und Cochlea Implantante können einen Hörverlust nur eingeschränkt ausgleichen. Hintergrundgeräusch, Nachhall oder die Übertragung von Informationen über eine Lautsprecheranlagen erschweren das Sprachverstehen nämlich systembedingt. Eine induktive Anlage („Hörschleife“) arbeitet deshalb anders: zur Erzielung eines hohen Direktschallanteils wird das Szenario (Sprache oder Musik) über geeignete Mikrofone oder einem separaten Ausgang einer Beschallungsanlage abgenommen, durch einen speziellen Schleifenverstärker bearbeitet und als elektromagnetisches Signal über ein Kabel abgestrahlt. Dieses Signal wird durch die Induktionsspule („Telefonspule“) des Hörgerätes empfangen und zurück in akustische Signale gewandelt. Durch dieses grundlegende abweichende Wirkprinzip ist der Geschädigte in der Lage Gesprochenes oder Musik in Hifi-Qualität und in optimaler Lautstärke wahrzunehmen, weitestgehend ohne störende Nebengeräusche. Mittels s.g. „Mischbetrieb“ kann das Hörgerät aber auch so feinjustiert werden, dass die Nebengeräusche nicht gänzlich verloren gehen.
Neben den induktiven Hörschleifenanlagen, kurz ID-Anlagen, welche nach wie vor den Stand der Technik repräsentieren, werden ab und an auch Smartphone-Lösungen oder FM-Anlagen diskutiert. Letztere nutzen frequenzmodulierte Funksignale oder gar nur Infrarot-Signale (daher auch IR-Anlage genannt). Allerdings ist nach wie vor nur die induktive Übertragungstechnik diejenige, welche die dominanteste Verbreitung und insbesondere höchste Systemkompatibilität besitzt. Dieser wahrnehmungsrelevante Vorteil hilft dem Hörgeschädigten jeder Zeit: das gilt im Alltag, der Freizeit, dem Urlaub, oder auf Geschäftsreisen – national, wie international.
Für Mitmenschen mit eingeschränktem Hörvermögen ist demnach ein ungestörtes Zuhören nur mittels induktiver Technik möglich, die einer Normen gerechten Planung bedarf. Konstantstromverstärkung und die DIN EN 60118-4 bzw. IEC 60118-4 sind dabei nur zwei Schlüsselbegriffe. Mit der Simulation einer Hörschleife kann deren Wirksamkeit, Schleifenart und auch Übersprechen von bzw. zu benachbarten Räumen im Vorfeld gezielt untersucht und mit geeigneter Anlagentechnik effektiv beantwortet werden ohne den Bau zu verzögern. Der Stellenwert der eigentlichen Raumakustik und Beschallungsanlage bleibt dabei stets im Auge.
Moderne Stromverstärker (s.g. Loop-Driver) besitzen u.a. einen integrierten Dynamikkompressor (s.g. AGC = automatic gain control), einer Schaltung zur Kompensation des s.g. Metallverlusts (metal loss correction), übertragen ein ausgewogenes und im Hochton erweitertes Spektrum, brummen und rauschen nicht. Die Wahl der geeigneten Verlegeart des Schleifendrahtes ist ein wesentlicher Punkt die nutzungsbestimmte und störungsfreie Funktion einer induktiven Höranlage zu gewährleisten, das Stören anderer Ringschleifenanlagen zu vermeiden, respektive die Übertragung der Information in unerwünschte Bereiche bzw. andere Räume zu verhindern. Denn: das elektromagnetische Audiosignal wird i.d.R. unverschlüsselt ausgesendet, wodurch es grundsätzlich möglich ist dieses auch außerhalb der eigentlich gewünschten Versorgungsfläche mit einfacher Technik unautorisiert mit- bzw. abzuhören.
Folgende Schleifentypen sind typisch: einfache umschließende Schleifen (perimeter loop), Opferschleifen zum Auslöschen der Ausstrahlung (cancellation loop), verschachtelte Schleifen und jene mit starken Seitenmaxima (overspill counter loop). Verschaltete Schleifen (single Array loop) bzw. Gruppenschleifen (phased array loop) werden häufig bei stahlarmierten Flächen oder naheliegenden Stahlkonstruktionen eingesetzt. Wenn die Übertragung in andere Zonen eingeschränkt werden soll sind Schleifen mit besonders niedrigem Streuverlust (ultra-low spill loop) angezeigt. Zu beachten ist dabei jeweils, dass ein Übersprechen nicht nur in horizontal, sondern auch in vertikal benachbarte Bereiche, also Stockwerk übergreifend, zu bewerten ist. Der Einbau einer solchen Anlage sollte generell durch sachkundige Fachfirmen erfolgen, egal ob einfache Perimeterschleife oder komplexes Mehrsegmentschleifensystem mit Phasenschieber.
Nicht selten ist auch der bauliche Istzustand im Vorfeld zu objektiveren, weshalb wir i.d.R. eine Metallverlustmessung vornehmen, die der Dimensionierung und Wahl der Technik als Grundlage dient. Wie auch immer: Erst durch eine korrekt gewählte und geplante Anlagentechnik wird es dem Hörgeräteträger ermöglicht störungsfrei Audiosignale drahtlos über das Hörgerät zu empfangen, die für ihn bestimmt sind. Um optimale Rahmenbedingungen für die jeweilige Situation zu schaffen suchen wir bedarfsweise auch den Kontakt zu betroffenen, engagierten Selbsthilfegruppen. Das Anbringen normengerechter Symbolik nach DIN 66079 ist selbstverständlich.
Die Vorteile sind dann: deutlich bessere Verständlichkeit dank höherer Direktschallversorgung, minimierter Nachhall- und Echo-Einflüsse sowie reduzierter Störgeräusche aus dem Umfeld. Des Weiteren kann der Informationsgeber dann davon ausgehen, dass die Übertragung (gesprochenes Wort oder Musik) nur der gewünschten Zielgruppen zur Verfügung gestellt werden.